Digitale Modellierung

Digitale Visualisierungen von Kulturgütern ermöglichen ein Eintauchen in die Atmosphäre kulturell bedeutsamer Räume, ein interaktives Erfahren und Erleben von Artefakten und Einrichtungselementen und das Experimentieren mit Rekonstruktionen von Objekten, Räumen und Stimmungen.

Nicht immer lassen sich alle hierfür benötigten Elemente durch Digitalisierungsverfahren wie 3D-Scanning, Photogrammetrie und Photographie erfassen. Digitale Modellierungen von Landschaften, Städten, Gebäuden, Räumen, Einrichtungsgegenständen, Artefakten, Bauteilen und Personen ergänzen die Digitalisate und komplettieren ein stimmungsvolles Gesamtbild.

Die Nutzung von Modellierungen von Untersuchungsgegenständen in wissenschaftlichen Anwendungen ist unter Berücksichtung der epistemologischen und ethischen Rahmenbedingungen umsetzbar. Für Visualisierungen, Gaming und Entertainment gelten zumeist keine derart strikten Rahmenbedingungen, jedoch sollten auch hier möglichst wahrheitsgetreue Parameter gewählt werden.

Auf einen Blick

Digitaler Ausstellungsraum zu Assoziatoren.
Der Raum, alle Einrichtungsgegenstände und die Ausstellungsstücke sind digital modelliert.

Digitale Modellierungen

Durch digitale Modellierungen können Gegenstände, Personen, Räume, Landschaften und alle Entitäten der realen Welt digital nachgebildet und Fantasiewelten, -gegenstände und -wesen erschaffen werden. Ihre Erscheinungsweise wird durch verformte geometrische Körper, Kurvenverläufe, Flächen, Netze und ähnliche Strukturen anhand von Dokumentationsmedien oder Vorlagen, oder nach der Vorstellungskraft nachgebildet. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt; alles, was visuell wahrgenommen werden kann, kann digital modelliert werden. Sollen digitale Modelle realer Objekte erschaffen werden, bildet eine gute Dokumentation der Objekteigenschaften in allen Dimensionen und mit allen benötigten Charakteristika (Maße, Materialien und ihre physikalischen Eigenschaften etc.) die Grundlage der Modellierung.

Der erste Eindruck digitaler Modelle ist zumeist visuell. Trotzdem beschränken sich die Wiedergabemöglichkeiten nicht auf visuelle Aspekte. Auch andere physikalische Eigenschaften wie Bewegungsverhalten im Raum, Schwingungsverhalten und/oder die Interaktion mit Licht lassen sich digital nachbilden, um möglichst realistische Digitalformate eines Objekts zu erhalten. Verbunden ist dies mit detaillierten Messungen und/oder Recherchen zu den Objekten und ihren Eigenschaften, die gerade in wissenschaftlichen Anwendungen die Grundlage der Digitalmodellierung bilden.

3D-Scan einer Geode
Digitale Modellierung eines Dachstuhls

Modellierung vs. 3D-Scanning

Sowohl die digitale Modellierung als auch das 3D-Scanning verfolgen das Ziel, digitale Objekte zu erstellen. 3D-Scanning ist immer auf die Digitalisierung realer Objekte ausgerichtet. Die 3D-Modellierung kann dieses Ziel ebenfalls verfolgen und reale Objekte digital nachbilden. Zusätzlich kann sie auch dafür eingesetzt werden, Fantasie-Objekte zu schaffen, wie sie in Gaming und Entertainment Anwendung finden.

Auch wenn sowohl 3D-Scanning als auch Modellierung auf die digitale Darstellung realer Objekte ausgerichtet sind, unterscheiden sich die epistemologischen, verfahrenstheoretischen und allgemein wissenschaftlichen Charakteristika beider Verfahren fundamental voneinander. Durch 3D-Scanning generierte Digitalisate basieren auf den 'Messdaten', die von einem Messgerät (dem 3D-Scanner) aufgenommen wurden, das beispielsweise in der Industrie zur hochpräzisen Fertigung und Qualitätskontrolle genutzt wird. Beim digitalen (Nach-)Modellieren realer Objekte werden alle Elemente des digitalen Modells vom Bearbeiter generiert und positioniert, Messdaten im eigentlichen Sinn sind in der Digitaldatei nicht erhalten. Sie finden lediglich indirekt durch das Ausrichten der Modellierung an Messplänen, Photographien, Zeichnungen u.Ä. des Objekts Einzug in das Digitalmodell.

Sowohl der 3D-Scan als auch die 3D-Modellierung sind digitale Repräsentationen und Modelle des realen Artefakts und als solche grundsätzlich methodenkritischen Diskussionen unterworfen. Im Unterschied zur reinen Modellierung enthält ein aus 3D-Scandaten generiertes Modell direkt messgerätgebundene Messdaten und zumeist eine höhere Informationsdichte. Mit großer Vorsicht läßt sich folgender Grobvergleich formulieren: Wenn die Digitalmodellierung einer technischen Zeichnung des Objekts ähnelt, ähnelt das 3D-Scan-Modell einer Photographie desselben.

Kombinationen

Bei der Visualisierung von Kulturgütern arbeiten 3D-Scanning und Modellierungen teilweise Hand in Hand. Durch die komplexe Geometrie von Kulturgütern kann es vorkommen, dass einzelne Objektbereiche (z.B. stark verwinkelte oder verdeckte Oberflächen) von einem 3D-Scanner nicht erfasst werden können. Bei stark glänzenden Oberflächen kann durch die technischen Möglichkeiten von 3D-Scannern nicht immer ausgeschlossen werden, dass der betroffene Objektteil nur teilweise durch 3D-Scandaten erfaßt wird. Sollen diese Bereiche trotzdem in eine digitale Visualisierung eingebunden werden, müssen sie anhand möglichst präziser Daten und Informationen über die betroffene Stelle des originalen Objekts nachmodelliert und in den 3D-Scan eingefügt werden. Stehen partielle Scandaten zur Verfügung, können sie die Grundlage für die folgende Modellierung bilden. Fehlen zu einem Objektbereich Scandaten, können Photographien, Endoskop-Aufnahmen, Zeichnungen, Messdaten und ähnliche Informationen herangezogen werden. In beiden Fällen geht der Modellierung eine eingehende Auseinandersetzung mit dem realen Objekt voraus und begleitet sie auch während ihrer Umsetzung.

Partiell gescannte Metallteile eines 3D-Scans eines Hammerflügel-Korpus
Modellierung der fehlenden Metallstreben anhand des annähernd vollständig gescannten Exemplars.
Arbeitsstadium mit bereits vollzogenen Optimierungen in der linken Hälfte und ursprünglicher Scan-Geometrie in der rechten Hälfte
3D-Modell mit eingefügten nachmodellierten Streben.
Aus Erkenntnisgründen wurde die fast vollständig gescannte Strebe nicht verändert.
Modellierte Architekturelemente eines digitalen Ausstellungsraumes:
Sälen, Antenmauern, zentraler Rundbau mit Kasettendecke und Podest, Propylaeum

Modellierte Digitalmodelle von Artefakten, Gebäuden und Räume

Die digitale Nachbildung (kultureller) Artefakte, Gebäuden und Räumen zu wissenschaftlichen und musealen Zwecken basiert auf umfassenden Untersuchungen, Studien und Dokumentationen der realen Objekte. Die so gewonnenen Messdaten, Bild- und Materialinformationen und Beobachtungen bilden die Grundlage für eine möglichst wirklichkeitsgetreue digitale Nachmodellierung des realen Artefakts, Gebäudes oder Raums.

Die Modellierung kann entweder als Volumenkörpermodellen (solid model) oder Oberflächenmodell (surface model) erfolgen. Bei Oberflächenmodellen werden lediglich die Oberflächenverläufe des Artefakts modelliert; das Innere seiner Bestandteile ist 'hohl'. Oberflächenmodelle eignen sich durch ihre vergleichsweise geringere Dateigröße besonders für alle Anwendungen, die primär auf die Visualisierung der Objekte ausgerichtet sind. Volumenkörpermodelle beinhalten eine digitale Modellierung aller Volumina und ermöglichen damit unter Anderem die Simulation physikalischer Eigenschaften jenseits der Oberflächenbeschaffenheit.

Bei 3D-Modellierungen wird (wie auch beim 3D-Scanning) zwischen Geometrie und Textur unterschieden. Modelliert wird zunächst die Objektgeometrie. In einem zweiten Schritt kann diese Geometrie mit einer Textur versehen werden. Soll nicht auf allgemein gehaltene Farb- und Materialinformationen zurückgegriffen werden, kann diese Textur durch Digitalphotographien des Artefakts, Gebäudes oder Raums gewonnen werden.

Musealisierung und Kontextualisierung digitaler Objekte

Modellierte Räume und Gegenstände können dazu genutzt werden, kulturelle Artefakte zu kontextualisieren und in einem digitalen musealen Kontext zu präsentieren. Die Raumgestaltung lässt sich dabei an das Artefakt, die intendierte Aussage und individuelle Gestaltungswünsche anpaßen. So lassen sich beispielsweise zeitgenössische Kunstwerke in einer modernen Raumgestaltung präsentieren, wohingegen für Artefakte aus der europäischen Antike auf eine klassische oder klassizierende Architektur zurückgegriffen werden kann. Soll das Artefakt historisch kontextualisiert werden, lässt sich digital ein historischer Raum oder eine historische Landschaft modellieren, in der das Objekt präsentiert wird. Zusätzlich modellierte Gegenstände runden das Gesamtbild ab. Die so geschaffene Raumatmosphäre kann in Website-, App-, Gaming- und/oder VR-/XR-Anwendungen eingebunden und auf diesen Wegen einem breiten Publikum präsentiert werden.

Stilisierte Werkstatt zur Präsentation des Nachbau-Verfahrens historischer Hammerflügel (Grundausstattung)
DiAuViS-Showroom: Seitenraum
3D-Scan einer Tonlampe mit Flammenanimation (schematische Simulation)

Rekonstruktionen und Simulationen

Noch einen Schritt weiter als ergänzende Modellierungen von 3D-Scans und Nachmodellierungen von Objekten anhand von Messdaten gehen digitale Rekonstruktionen und Simulationen von Kulturgütern im weitesten Sinn. Sie ergänzen nicht nur nicht oder nicht ausreichend digitalisierte Bereiche von Artefakten oder Räumen, sondern visualisieren mögliche Rekonstruktionen verlorener Objekt- oder Raumteile oder simulieren denkbare Anwendungsformen im historischen Kontext. Die Grundlage der digitalen Rekonstruktion und Simulation bildet eine fundierte Recherche über die digitalisierten Artefakte oder Räume in Verbindung mit einer begründeten Erarbeitung von Hypothesen über mögliche Rekonstruktionen und Simulationen.

Fundierte Rekonstruktionen sind nur durch eingehende Studien der Objektcharakteristika und passender Vergleiche möglich. Zum Beispiel können Bruchstellen Aufschluss über den Verlauf heute verlorener Körperteile von Statuen liefern. Auch wissenschaftliche Simulationen bedürfen einer fundierten Datengrundlage. Soll beispielsweise die Lichtwirkung einer antiken Öllampe simuliert werden, gilt es, eine Datengrundlage über alle Faktoren zu erarbeiten, die für ihr Brennverhalten relevant sind, beispielsweise Material und Dicke des Dochtes und das genutzte Öl und sein Brennverhalten. Fehlt aufgrund der allgemeinen historischen Erkenntnisproblematik eine ausreichende positive Datengrundlage, können verschiedene Simulationen erstellt und im Anschluss kritisch diskutiert werden. Die digitale Simulation dient nicht nur der Visualisierung, sondern ist zugleich ein wertvolles Forschungsinstrument.

Digitale Modellierung und Wissenschaft

Die Nutzung von Modellierungen in wissenschaftlichen Zusammenhängen ist aus epistemologischen Gründen sehr problematisch und sollte hohen wissenschaftsethischen Werten unterworfen werden. Immer wieder finden sich Modelle von 3D-gescannten Kulturgütern, bei denen ein Vergleich mit dem realen Objekt mitunter massive Abweichungen (bis hin zu ganzen Körperteilen) offenbart, ohne dass diese gekennzeichnet wären. Betrachtet man nur das 3D-Modell, ließe sich der reale Zustand des Objekts nicht oder gar nur falsch erfassen.

Nach unserer Philosophie entsprechen ergänzende Modellierungen von 3D-Scans und Nachmodellierungen von wissenschaftlich untersuchten Objekten dreidimensionalen Zeichnungen bzw. Rekonstruktionen der Objekte und sollten denselben Richtlinien unterworfen werden. Alle Ergänzungen sind auf ein Minimum zu reduzieren und mit einer möglichst umfassenden Datengrundlage anhand des realen Objekts zu untermauern. Die Vorgehensweise ist zu begründen und ausführlich darzulegen. Außerdem sollten ergänzte bzw. nachmodellierte oder digital veränderte Modellbereiche zumindest kommentiert, wenn nicht sogar im 3D-Modell selbst hervorgehoben werden. Hierbei kann auf einige Verfahren der analogen Rekonstruktion zurückgegriffen werden. Beispielsweise können die Farb- oder Transparenzwerte der entsprechenden Texturbereiche so verändert werden, dass sie sich vom übrigen Objekt absetzen, oder es kann komplett auf eine Einfärbung verzichtet werden. Soll das 3D-Modell farblich einheitlich erscheinen, können beispielsweise kleine Informationspunkte an die entsprechenden Stellen angebunden werden, die durch einen Klick über die vorgenommenen Änderungen informieren. Bei der digitalen Rekonstruktion von Räumen und Landschaften sollte analog verfahren werden. Die jeweilige Vorgehensweise wird im Austausch mit allen Beteiligten und Interessierten herausgearbeitet und dokumentiert.

Detailansicht eines 3D-Scans eines Hammerflügels mit alternativer Einfärbung modellierter Bereiche